Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Rohölsorte Brent, die als europäische Referenzsorte an der Börse gehandelt wird, stieg gestern das erste Mal seit vier Jahren wieder über 80 Dollar. Damit ist ein wichtiger Widerstand gefallen, der in den letzten Wochen noch höhere Preissteigerungen verhindert hatte. Zwar war immer wieder mal an der 80 Dollar-Marke gekratzt worden, doch klar durchbrochen wurde sie bis gestern nicht. Inzwischen hört man sogar Prognosen, dass der Preis bis Ende des Jahres auf 90 oder 100 Dollar hochgehen könnte. Somit stehen die Zeichen für die nächsten Monate klar auf Preisanstieg.
Hohe Preisprognosen für viertes Quartal
Die meisten Experten gehen inzwischen davon aus, dass die börsengehandelten Rohölpreise zum Jahresende deutlich höher sein werden als bisher angenommen. Während die US Investmentbank JP Morgan von 90 Dollar Preisspitzen pro Barrel ausgeht, vermuten die europäischen Handelshäuser Trafigura und Mercuria sogar Anstiege bis 100 Dollar.
Grund dafür ist vor Allem die sinkende Produktion des Iran durch die US Sanktionen, deren Auswirkungen ab November vermutlich noch gravierender ausfallen werden, da sie dann erst vollständig greifen. Schon jetzt sind die Exporte des Landes stärker gesunken als erwartet. Zusammen mit den Produktionsproblemen anderer Länder wie Venezuela, dessen Ölindustrie nahezu am Boden liegt, zeichnet sich eine klare Unterversorgung ab.
Die Augen der Marktteilnehmer richten sich deshalb auf die OPEC. Das Treffen des Kontrollgremiums in Algerien am Wochenende hatte keine Ergebnisse geliefert, über eine Produktionssteigerung war zumindest öffentlich nicht gesprochen worden. Erst im Dezember findet das nächste offizielle OPEC Treffen statt, bei dem dann auch Beschlüsse zu Produktionssteigerungen gefasst werden können. Bis Dezember ist es aber noch lange hin – viel Zeit für die Preise, weiter zu klettern.
Libyen steigert Ölförderung
Ein Faktor, der einer Unterversorgung zum Jahresende entgegenwirken könnte, ist die gestiegene Förderung in Libyen. Das von Unruhen und politischer Instabilität geprägte Land fördert aktuell so viel Rohöl wie seit Jahren nicht mehr. Libyen hält die umfangreichsten Ölreserven Afrikas, durch den politischen Umsturz 2011 und die militärischen Unruhen blieb die Ölförderung seitdem jedoch deutlich unter ihrem Potenzial.
Das Blatt scheint sich nun vielleicht zu wenden, denn die Ölexporte sind seit September auf 1 Millionen Barrel pro Tag (etwa 159 Millionen Liter) gestiegen. Im August lagen sie noch bei 0,9 Millionen Barrel (143,1 Millionen Liter). Von offizieller Stelle heißt es, man wolle bis 2022 mehr als 2 Millionen Barrel täglich fördern (318 Millionen Liter).
Auf Grund der heiklen Sicherheitslage und der politischen Instabilität wird sich jedoch erst noch zeigen müssen, wie realistisch diese Pläne tatsächlich sind und vor Allem, wie dauerhaft die Produktionssteigerungen sein werden.
Ausblick
Die Chance, heute günstig Heizöl zu kaufen, ist gering. Mit den starken Preissteigerungen an der Börse ziehen auch die Inlandspreise deutlich an. Verbraucher müssen heute mit Aufschlägen von +0,70 bis +0,90 Euro pro 100 Liter rechnen.